Führung beginnt immer bei der eigenen Person. Bei der Fähigkeit, sich selbst zu führen. Achtsame Führung beinhaltet dabei eine gesunde Beziehung zu sich selbst. Sensibilität dafür, wie Führungskräfte in mental und emotional belastenden Situationen mit sich selbst umgehen.
Selbstbeziehung meint die Fähigkeit, bewusst wahrnehmen und erkennen zu können, wie jemand innerlich mit sich selbst umgeht. Hilfreich dafür können zum Beispiel folgende Fragen sein:
- Wie spreche ich innerlich mit mir, wenn mir etwas misslingt?
- Wie gehe ich mit Druck, Fehlern oder Kritik um?
- Achte ich auf meine eigenen Bedürfnisse und Grenzen oder übergehe ich sie?
Diese innere Beziehung ist keine Nebensächlichkeit. Sie hat unmittelbaren Einfluss darauf, wie eine Führungskraft mit ihren Mitarbeiter*innen umgeht. Wer zum Beispiel sehr viel von sich selbst verlangt und permanent ans Limit des Leistbaren geht, wer sich häufig selbst kritisiert oder seine Bedürfnisse ignoriert, wird dieselbe Haltung auch unbewusst nach außen tragen.
Er oder sie wird dann auch von Mitarbeiter*innen verlangen, immer alles zu geben und bis an die Grenzen des Machbaren zu gehen. Er oder sie wird schnell Kritik anbringen, wo vielleicht erst einmal Zuhören und Verstehen angebracht wären. Er oder sie wird von Mitarbeiter*innen verlangen, ihre Bedürfnisse zu ignorieren und damit indirekt deren Selbstausbeutung befeuern.
Die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen
Die Essenz einer gesunden Selbstbeziehung ist zunächst die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung. Wie ich schon im ersten Teil der Blogartikel-Reihe, „Warum Selbstbewusstheit die Basis ist”, beschrieben habe, bedeutet Selbstwahrnehmung das bewusste Lenken der eigenen Aufmerksamkeit auf das, was in einer Situation gerade passiert. Es bedeutet aber auch, darauf zu achten, was bei einem selbst passiert – mental, emotional und körperlich.
Viele Menschen haben den Bezug zu sich selbst verloren, weil sie scheinbar nur noch funktionieren und die Erwartungen Anderer erfüllen. Besonders Führungskräfte werden häufig aufgerieben durch unterschiedliche Erwartungen an sie. Einerseits äußere Faktoren, wie technologische Entwicklung, organisatorische Transformation, Fachkräftemangel, Kostendruck oder Nachhaltigkeitsziele. Das alles bei gleichbleibenden oder schrumpfenden Ressourcen.
Führungskräfte fühlen sich deshalb häufig so, als müssten sie permanent mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft halten – ohne Netz und doppelten Boden. Hinzu kommen die Erwartungen der Mitarbeiter*innen, die in dieser Arbeitswelt Orientierung und Halt suchen. Das wiederum erhöht den Druck in Bezug auf die eigene Führungsrolle.
Essenzielle Fragen in Bezug auf sich selbst kommen dabei in der Regel zu kurz:
- Wie geht es mir gerade in der Situation?
- Wie fühle ich mich damit?
- Wo kann ich Druck und Anspannung spüren?
- Was fühlt sich stimmig an für mich und was nicht?
Achtsame Führung bedeutet, sich diese Fragen zu stellen und sie ehrlich zu beantworten, ohne sich selbst dabei nicht als nicht belastbar oder schwach zu verurteilen. Wem das gelingt, ist authentisch. Wer sich erlaubt, das wahrzunehmen und zu akzeptieren, was gerade bei ihm/ihr ist, zeigt sich verletzlich und zugleich zutiefst menschlich. Über kurz oder lang fördert das wiederum eine gesunde Beziehung zu den Mitarbeiter*innen.
Die Fähigkeit, Selbstmitgefühl zu zeigen
Achtsame Führung im Sinne einer gesunden Selbstbeziehung beinhaltet zudem einen zweiten Aspekt: Selbstmitgefühl. Diese Fähigkeit wird im Führungskontext oft missverstanden oder tabuisiert. Vor allem dann, wenn Führung einseitig Eigenschaften wie Stärke und Durchsetzungsfähigkeit betont. Selbstmitgefühl wird dann einerseits schnell als „weich” im Sinne von schwach etikettiert. Andererseits wirft man selbstmitfühlenden Menschen eine gewisse Selbstbezogenheit vor. Das Argument: Sie kreisten im Grunde nur um sich selbst und seien um ihr eigenes Wohl bemüht.
Doch Selbstmitgefühl hat nichts mit Egozentrik zu tun. Tatsächlich ist es eine zentrale Ressource für innere Stabilität und emotionale Intelligenz. Selbstmitgefühl bedeutet nicht Nachsicht oder Ausreden, sondern einen respektvollen Umgang mit der eigenen Unvollkommenheit. Es ist die Haltung, sich selbst in schwierigen Momenten mit Verständnis und Fürsorge zu begegnen, anstatt sich zu überfordern oder selbst zu verurteilen.
Wer selbstmitfühlend ist, ist in der Lage, sich selbst zu sagen:
„Auch ich bin ein Mensch, der Grenzen hat und Fehler machen darf.”
Im Führungsalltag ist das von zentraler Bedeutung, weil Führungskräfte ständig unter Beobachtung – sowohl von den oberen Führungsebenen als auch von den Mitarbeiter*innen – und Entscheidungsdruck stehen. Fehler oder Unsicherheiten werden oft als Schwäche gesehen und auch selbst so empfunden. Viele Führungskräfte reagieren deshalb auf Rückschläge oder Überforderung mit Härte gegen sich selbst:
- „Das hättest du besser wissen müssen!“
- „Reiß dich zusammen!“
- „Ich darf keine Fehler machen!“
Diese Haltung führt zu Anspannung, Druck, Angst vor Versagen und innerer Distanz. Selbstmitgefühl hingegen entlastet von destruktiver Selbstkritik. Es bedeutet nicht, Verantwortung zu relativieren, sondern sie menschlicher zu gestalten:
„Ich habe mein Bestes gegeben und kann daraus lernen.“
Die Praxis des Selbstmitgefühls erhält die Handlungsfähigkeit und schützt vor mentaler und psychischer Erschöpfung. Letztlich heißt Selbstmitgefühl nicht, sich auf die faule Haut zu legen oder den Schongang einzulegen. Es bedeutet, gut für die eigene innere Balance zu sorgen. Eine Führungskraft, die auf ihre mentalen und emotionalen Ressourcen sowie ihre Bedürfnisse achtet, kann klarer denken, authentischer handeln und langfristig stabil führen. Auch das ist achtsame Führung.
