Kennst du auch das Karussell belastender Gedanken? Je nachdem wie lange es sich dreht, kann das negative Auswirkungen auf dein Wohlbefinden und deine Gesundheit haben. Mit dieser Übung kannst du belastende Gedanken loslassen.
Belastende Gedanken loslassen. Wäre das nicht wunderbar? Eine achtsame Haltung und entsprechende Praxis kann dir dabei helfen. Aber zunächst ein paar allgemeine und wichtige Gedanken zum Thema Gedanken.
„Der Mensch wird nicht so sehr durch die Dinge beunruhigt, die um ihn herum geschehen, sondern durch seine Gedanken über die Dinge.”
(Epiktet, antiker Philosoph und Stoiker)
„Das Problem ist nicht das Problem. Das Problem ist deine Einstellung zum Problem.”
(Jack Sparrow, Filmfigur in „Fluch der Karibik”)
Zwei Menschen, ein Gedanke. Oder vielmehr: Eine ähnliche Sicht auf die Bedeutung und Macht von Gedanken. Obwohl es sich streng genommen bei Jack Sparrow ja nicht um einen realen Menschen handelt, sondern um eine erfundene Filmfigur, verkörpert durch den Schauspieler Leonardo di Caprio. Beiden Sichtweisen ist gemein, dass sie eine als belastend empfundene Situation (nennen wir sie „Problem”) nicht deshalb als belastend betrachten, weil sie da ist. Sie ist es, weil wir so darüber denken! Erst unser Denken, unsere Gedanken über etwas (Menschen oder Situationen), lässt uns die Sache in einem bestimmten Licht sehen.
Siehst du Rot, wenn die Ampel auf Rot steht?
Aber lass mich diese vielleicht etwas dröge Theorie an einem einfachen Beispiel veranschaulichen. Es ist mein Lieblingsbeispiel, das ich bei meinen Gästen während einer Wanderung oder eines Vortrags oft anführe – und es führt regelmäßig zum berühmten Aha-Effekt.
Stell dir vor, du bist auf dem Weg zur Arbeit und spät dran. Du hast dich schon nach dem Aufstehen abgehetzt, hektisch gefrühstückt und beim Zähneputzen warst du gedanklich schon beim doofen Gesicht der Kollegen, die im Meeting auf dich warten. Jetzt sitzt du im Auto, und da passiert es: Eine rote Ampel nach der anderen. Dein Puls beginnt schneller zu schlagen, du fluchst wild vor dich hin, schimpfst über den Autoverkehr und die in deinen Augen falsch getakteten Ampeln. Es fallen dir die Kollegen ein, die gleich blöde Gesichter ziehen werden. Und erst dein Chef! Ach, hättest du doch gestern nicht bis in die Nacht noch diesen Film geschaut. Du hättest heute früh sicher nicht verschlafen.
In diesem fiktiven Beispiel – ich bin sicher, es ist eines, das sich auch in der Realität jeden Tag unzählige Male ereignet – findest du gleich mehrere negative Gedanken. Über eine bestimmte Situation, über andere Menschen und über sich selbst. Es ist ein Karussell negativer Gedanken, aus dem schnell auch negative Gefühle entstehen können. Beides hängt zusammen und lässt sich nicht trennen. Das Tragische ist, dass die negativen Gefühle wiederum negative Gedanken provozieren. Möglicherweise auch bestimmte unangenehme Körperempfindungen:
- „Mein Chef wird mich bestimmt zur Sau machen.” (Negativer Gedanke)
- „Ich habe Angst vor negativen Konsequenzen.” (Negatives Gefühl)
- „Ich habe Bauchschmerzen.” (Negative Körperempfindung)
Und so weiter und so fort. Dieses Beispiel macht deutlich, wie mächtig unsere Gedanken sind. Sprich: Was wir oder wie wir über Situationen und Ereignisse denken, hat einen maßgeblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Es beeinflusst unseren Alltag und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Und letztlich beeinflusst die Art und Weise des Denkens über etwas unser komplettes Leben. Vom römischen Kaiser und Philosoph Marcus Aurelius ist dieser Satz überliefert: „Unser Leben ist das Produkt unserer Gedanken.”
An dieser Stelle sei erwähnt, dass Angst an sich kein schlechtes Gefühl ist beziehungsweise eines, das du unbedingt vermeiden solltest! Angst ist wichtig, denn sie hat eine Signalfunktion. Evolutionär gesehen warnt uns die Angst und hält uns davon ab, unverantwortliche Risiken einzugehen. Zugleich mobilisiert sie unsere Kräfte, sei es zur Abwehr oder zur Flucht. Viele Ängste entstehen aber auch durch individuelle Lernprozesse während unseres Lebens. Wir haben sie uns nicht ausgesucht, sondern oft ungefragt „übernommen”. In der Regel von den ersten Bezugspersonen in unserem Leben, den Eltern.
Aus der Lerntheorie zum Beispiel wissen wir, dass Kinder, deren Eltern bestimmte Ängste zeigen, diese Ängste übernehmen (Konditionierung). Hier manifestieren sich die berühmten, unhinterfragten Glaubenssätze – oder warum ekeln sich viele vor Spinnen in einer Art diffuser Angst, obwohl sie gar keine negativen Erfahrungen damit gemacht haben? Möglicherweise hatte schon ein Elternteil „Angst” davor, ohne jemals begründen zu können, worin diese Angst tatsächlich besteht. Sie existiert ausschließlich im Kopf, in Form negativer Gedanken. Angst ist also immer auch ein hilfreicher Indikator, der uns darauf aufmerksam macht, was da vielleicht im unbewussten Unterbewusstsein schlummert.
Viele Gedanken sind gelernte Konditionierungen
Zurück zur roten Ampel. Das, was ich in dieser fiktiven Geschichte erzähle, steht sinnbildlich für viele andere Situationen in unserem Leben. Wir reagieren plötzlich und automatisiert in einer bestimmten Art und Weise. So, als ob wir noch nie anders reagiert hätten. Und tatsächlich: Viele unserer Gedanken sind nicht mehr als automatische Reaktionen auf bestimmte Reize. Man könnte sie auch Trigger nennen. Passiert A, denken wir B. Und das jedes Mal. Ohne es bewusst zu tun. Es ist wie ein Programm, das automatisch abläuft. Zum Beispiel dann, wenn wir an einer roten Ampel stehen und spät dran sind.
Aber auch dann, wenn ein Freund oder unser Partner irgendetwas sagt, das uns triggert. Weil es alte Wunden aufreißt, die zwar mit einem Pflaster bedeckt sind, es in diesem Moment jedoch wie von Zauberhand abgerissen wird und die Wunde wieder offenlegt. Die Gedanken, die dadurch hervorgerufen werden, tun nicht gut, weil die Wunde an sich noch nicht geheilt ist. Es sind Gedanken, die durch Konditionierungen hervorgerufen werden. Diese Gedanken haben wir durch vergangene Erfahrungen gelernt zu denken. Und diese Gedanken provozieren wiederum negative Gefühle.
Wie wir über etwas denken, wird zuerst durch unsere ersten Bezugspersonen, die Eltern, beeinflusst.
- Ist es schlecht, wenn es regnet, oder hat Regen auch etwas Faszinierendes?
- Muss man unbedingt studieren, oder ist man auch mit einer praktischen Ausbildung eine gestandene Persönlichkeit?
- Ist Monogamie die einzig wahre und erstrebenswerte Beziehungsform, oder gibt es auch noch andere, die einem selbst womöglich besser entsprechen?
Im Laufe unseres Lebens kommen dann die Prägungen des sozialen Umfelds (Freunde, Lehrer, Kollegen usw.) hinzu. Ich könnte weitere Beispiele von gedanklichen Prägungen nennen, die wir alle mehr oder weniger unkritisch übernommen haben. Es sind im Prinzip Geschichten über das Leben, oder wie Leben funktioniert, die wir dann für wahr und richtig halten. Und es sind Geschichten über uns selbst. Irgendwann werden sie zu unseren eigenen Geschichten, die wir uns erzählen. Ganz automatisch.
Typische belastende Gedanken (Geschichten) in Bezug auf uns selbst können sein:
- „Ich sollte so und so sein.”
- „Ich kann das nicht, weil…”
- „Das werde ich nie schaffen.”
Typische belastende Gedanken in Bezug auf die Vergangenheit können sein:
- „Hätte ich lieber X statt Y studiert.”
- „Wäre ich anders gefördert worden, dann…”
- „Hätten mir meine Eltern doch das und das ermöglicht.”
Typische belastende Gedanken in Bezug auf die Zukunft können sein:
- „Wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, werde ich keinen Job finden.”
- „Wenn ich selbst kündige, bin ich unattraktiv für neue Arbeitgeber.”
- „Wenn ich mich von meinem Partner trenne, werde ich nie wieder einen anderen finden.”
Typische generalisierende Gedanken (Geschichten) in Bezug auf bestimmte Dinge können sein:
- „Wandern ist anstrengend.”
- „Achtsamkeit ist Esoterik-Kram.”
- „Meditieren ist nichts für mich.”
Einige dieser Gedanken manifestieren sich im Laufe unseres Lebens derart, dass sie zu Glaubenssätzen werden. „So ist es. Veränderung ausgeschlossen!”
Mit dieser Übung belastende Gedanken loslassen
Hast du deine Gedanken schon einmal kritisch hinterfragt? Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, ob das wirklich stimmt, was du da denkst? In diesem Zusammenhang kann ich dir das Buch „Lieben was ist” der US-amerikanischen Lehrerin und Bestsellerautorin Byron Katie empfehlen. Darin beschreibt sie ein System der Selbsterkenntnis, das aus vier Fragen besteht und unter der Bezeichnung „The Work” bekannt wurde. Es hilft dabei, unsere Eigen- und Außenwahrnehmung zu verändern, indem wir damit zum Beispiel negative Glaubenssätze auflösen können. Die vier Fragen:
- Ist das wahr?
- Kannst du absolut sicher wissen, dass das wahr ist?
- Wie reagierst du auf diesen Gedanken?
- Wer wärst du ohne diesen Gedanken?
Eine achtsame Praxis kann dir helfen, mit deinen Gedanken weder zu sehr in der Vergangenheit zu sein beziehungsweise an unveränderbaren Situationen deiner Vergangenheit zu hängen, noch mit deinen Gedanken zu sehr in die Zukunft abzuschweifen. Gedanken oder Grübeleien, die auf die Zukunft gerichtet sind, sind zum Beispiel Sorgen. In der Regel machen wir uns Sorgen um Ereignisse oder Umstände, von denen wir noch gar nicht wissen, ob sie überhaupt eintreten werden.
Aber wie kannst du nun konkret erreichen, belastende Gedanken loszulassen? Wie kannst du die automatisch ablaufende Maschinerie der Gedanken-Produktion durch bestimmte Stimulationen abstellen?
Dafür helfen dir die fünf Elemente der Achtsamkeit:
- Konzentration
- Beobachten
- Benennen
- Nicht-Bewertung beziehungsweise Akzeptanz
- Nicht-Reaktion beziehungsweise Innehalten
In Bezug auf belastende Gedanken kannst du diese Elemente sehr gut anwenden. Beginnen wir mit dem ersten Schritt.
Konzentration
Die Basis von Achtsamkeit ist Konzentration. Das bedeutet: Du richtest deinen Fokus, deine Aufmerksamkeit auf eine ganz bestimmte Sache. Und nur auf die. Der Rest deiner Wahrnehmung rückt dabei in den Hintergrund. Deine Konzentration schulen kannst du, indem du zum Beispiel versuchst, dich auf deinen Atem zu konzentrieren. Im Blogartikel „5-Minuten-Atem-Meditation fürs Wandern mit Anleitung” habe ich diese Übung beschrieben.
Beachte aber: Auch wenn Konzentration die Grundlage von Achtsamkeit ist, heißt das nicht, dass es das Ziel ist, die Konzentration perfekt und durchgängig aufrechtzuerhalten. Es ist völlig normal, dass deine Gedanken einmal abschweifen. Gerade auch das Bemerken dieses Moments des Abschweifens ist es, was Achtsamkeit ausmacht.
Beobachten
Stell dir vor, du stehst auf einem Berggipfel und schaust ins Tal. Du beobachtest, was da unten vor sich geht. Da fließt vielleicht ein Fluss, oder du beobachtest eine Straße, auf der Autos fahren. Quasi wie von einer Metaebene aus beobachtest du die Szenerie. Du richtest deine Aufmerksamkeit also auf bestimmte Dinge und Situationen im Außen.
In der Achtsamkeit kannst du auch Dinge im Innen, bei dir, beobachten. Zum Beispiel Körperempfindungen, Gefühle und eben auch belastende Gedanken. Der Vorgang des Beobachtens bedeutet dabei: Du bist nicht in diese Dinge involviert, sondern einfach nur der Beobachter. Wende dich dabei bewusst dem zu, was du beobachten willst, zum Beispiel belastende Gedanken, die gerade aufkommen. Aber – und das ist der springende Punkt – bewerte sie nicht! Versuche, sie einfach wert- und urteilsfrei zu beobachten.
Damit komme ich zum nächsten Punkt, der unmittelbar an den des Beobachtens anschließt.
Benennen
Benennen? Klar, kann ich, wirst du jetzt vielleicht denken. Aber so einfach ist das in der Realität mitunter nicht. Ein Beispiel: Stell dir vor, du befindest dich auf einer Wanderung im Wald und hörst das Geräusch eines Vogels. Wie würdest du es benennen? Wahrscheinlich würdest du das Wort „Vogel” verwenden. Doch „Vogel” wäre schon eine Schlussfolgerung, die du aus der Art des Geräuschs ableitest, keine einfache Benennung.
Benennen hingegen bedeutet, die eigene Wahrnehmung zu etikettieren, quasi mit einem Label zu versehen. Und das mit einfachen Worten und Beschreibungen. Es geht nicht darum, etwas zu analysieren oder zu bewerten! Stattdessen geht es ums Beschreiben. Im Fall des Vogels könntest du also Wörter verwenden wie „Piepen” oder „Zwitschern”.
Wenn ich diese Übung bei meinen Wanderungen mache, stelle ich immer wieder fest, wie schwer man sich tun kann, Dinge einfach nur zu beschreiben. Ohne Wertung. Das liegt daran, dass wir alle gelernt haben, Dinge möglichst schnell in Schubladen beziehungsweise Kategorien einzuordnen. Das tun wir übrigens auch gerne bei unseren Mitmenschen, die wir manchmal zu schnell in eine bestimmte Schublade stecken.
Eine hilfreiche Technik fürs Üben des Benennens ist das sogenannte Labelling. Dabei fängst du den Satz, mit dem du etwas beschreiben möchtest, mit den Worten „Da ist…” an. Beispiel: „Da ist ein Zwitschern”. Oder in Bezug auf einen belastenden Gedanken: „Da ist der Gedanke ‘Das schaffe ich nicht’.” Probiere es einmal aus. Du wirst feststellen, dass es gar nicht so leicht ist.
Nicht-Bewertung beziehungsweise Akzeptanz
Wir sind es gewohnt, Dinge, die uns passieren, in Kategorien einzuordnen. Wir legen sie in die berühmte Schublade. Und manchmal bleiben sie auch dort – unhinterfragt. Für diese Einordnung greifen wir auf altbewährte und übernommene Maßstäbe zurück:
- „Gut oder schlecht”
- „Schön oder häßlich”
- „Wunderbar oder furchtbar”
- „Schlimm oder okay”
- usw.
Diese Einordnungen nehmen wir aufgrund unserer Lebenserfahrung, unserer Einstellungen und Vorurteile vor. Da wir dies in der Regel nicht mehr hinterfragen, glauben wir, dass diese Einstellungen wahr sind. Unser Urteil über Dinge – und auch Menschen – steht oft schon fest, noch bevor wir uns wirklich mit ihnen beschäftigt haben.
Wenn wir etwas als negativ bewerten, sind das also gedankliche Urteile über etwas. Mit einer achtsamen Haltung hingegen nimmst du bewusst wahr, wie du gerade über etwas oder über jemanden denkst. Sobald du das erkennst, kannst du einen (gedanklichen) Schritt zurücktreten und die Situation beziehungsweise Person in neutralem Licht betrachten. Als neutraler Beobachter (s.o.). Es geht darum, unreflektiertes und reaktives Verhalten ohne jegliche Objektivität zu erkennen und zu unterbrechen.
Nicht-Reaktion beziehungsweise Innehalten
Du erinnerst dich an das Beispiel mit der roten Ampel? Viele reagieren schon beim Anblick „allergisch”. Aber warum eigentlich? Es ist nichts weiter als eine rote Ampel im Straßenverkehr. Die kennt man doch spätestens seit der eigenen Führerscheinprüfung. Trotzdem laufen bei vielen automatische Reiz-Reaktionsmuster ab, wenn die Ampel auf Rot steht. Dann wird es impulsiv, obwohl dieses Verhalten nichts bringt. Die Ampel wird nicht grün, nur weil man es gerne so hätte.
Auch in diesem Fall kannst du üben zu erkennen, wie du gerade reagierst. Geht deiner Reaktion ein belastender Gedanke voraus, kannst du bewusst wahrnehmen, dass das so ist. Möglicherweise erkennst du dann, dass du diesen Gedanken öfter denkst und entsprechend impulsgetrieben reagierst. Du kannst versuchen, deinen automatischen Handlungsimpuls zu beobachten und zu benennen. Zum Beispiel: „Am liebsten würde ich jetzt losschreien.” Oder: „Gestern hätte ich noch gedacht ‘bescheuerte Ampelschaltung’”. Nach einer gewissen Zeit der Beobachtung wird dein Handlungsimpuls schwächer und es entsteht Raum für andere, angemessene und zielführende Reaktionen. Diese achtsame Grundhaltung hilft dir dabei, den inneren und äußeren Reizstrom durch Entautomatisierung zu steuern.
Ich hoffe ich konnte dir in diesem Artikel die Macht deiner (belastenden) Gedanken deutlich machen. Wie du siehst, bist du ihnen nicht machtlos ausgeliefert, sondern kannst sie bewusst wahrnehmen, erkennen, benennen und wertneutral beobachten. Dieser Prozess erlaubt es, dass du dich nicht mit deinen Gedanken identifizierst. Denn bedenke: Du bist nicht deine Gedanken!
Ich wünsche dir gutes Gelingen beim Ausprobieren!