Wandern fördert nicht nur deine Gesundheit, sondern hat auch positive Effekte auf deine Persönlichkeit. Gerade in den Bergen musst du dich an plötzlich wechselnde Bedingungen anpassen, Entscheidungen treffen und bereits getroffene überdenken.
Draußen unterwegs zu sein heißt, die Natur als exemplarisches Lernfeld für sich selbst kennenzulernen. Die Natur beschleunigt Prozesse, reduziert aber auch Möglichkeiten. Beim Wandern erlebst du das Hier und Jetzt intensiver. In der Natur gibt es häufig komplexe Systeme, die sich laufend verändern und voneinander abhängen. All das prägt die eigene Persönlichkeit.
Auch beim Wandern in den Bergen können sich Dinge plötzlich verändern. Die Beschaffenheit des Weges, die Höhe, das Wetter, die eigene Gesundheit. In solchen Fällen wirst du zum Umdenken, Umplanen, Anpassen gezwungen. Du passt dein Gehtempo der Wegbeschaffenheit und der Höhe an, du passt deine Kleidung dem Wetter an, änderst vielleicht deine komplette Tourplanung. Steigst ab, weil es dir nicht gut geht. Du musst müssen Entscheidungen treffen und bereits getroffene Entscheidungen überdenken.
Die Berge als Schule des Lebens
In den Bergen kann man fürs Leben zu lernen. Fredmund Malik, Wirtschaftswissenschaftler, Inhaber des Malik Management Zentrum St. Gallen AG und selbst passionierter Bergsteiger, hat dazu ein Buch geschrieben: „Wo Grenzen keine sind“. Darin zeigt er, dass Bergsteigen eine facettenreiche Lebensschule sein kann, in der man zentrale Erkenntnisse, auch für ein erfülltes Leben gewinnen kann. Ausdauer, Selbstmotivation, Leistung und Verantwortung sind dafür zentrale Begriffe.
Malik zieht in seinem Buch die Verbindung vom Management zum Bergsteigen. Hinter beiden Disziplinen stehen seiner Ansicht nach dieselben Fragen: Was können Menschen leisten? Wo sind die Grenzen? Wie kann jeder Einzelne seine Grenze hinausschieben? Malik erklärt, wie richtiges Selbstmanagement hilft, über Grenzen hinauszukommen und das scheinbar Unmögliche zumindest zu versuchen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, mit Komplexität umzugehen.
In enger Wechselwirkung zu von uns nur wenig oder gar nicht beeinflussbaren Prozessen und Veränderungen in der Natur stehen die sozialen Prozesse in einer Gruppe von Menschen auf einer Tour. Oft prallen hier widersprüchliche Einschätzungen und Interessen aufeinander, wenn es um die „richtige“ Entscheidung geht: Welchen Weg sollen wir einschlagen? Sollen wir aufgrund eines Wetterwechsels umkehren oder doch den Aufstieg zum Gipfel wagen? Sollen wir jetzt schon rasten und ausruhen oder lieber erst in einer Stunde? Oft zeigt sich erst im Nachhinein, ob eine Entscheidung der Situation angemessen war.
Beim Wandern bieten sich dir viele Situationen, in denen du Entscheidungsverantwortung übernehmen musst und persönliche Handlungsfähigkeit üben kannst. Gehst du über den Berg oder doch lieber im Tal? Bleibst du auf dem eingeschlagenen Weg oder kürzt du ab? Obwohl auf den ersten Blick recht einfach zu entscheiden, bleiben Zweifel über das, was du bei der einen Variante verpasst, welche Möglichkeiten sich aufgetan hätten oder welche Gefahren.
Wandern schärft das Bewusstsein fürs Wesentliche
Wenn du in den Bergen wanderst, hast du keine maximale Wahl- und Entscheidungsfreiheit. Beides ist begrenzt. Was sich im ersten Moment negativ anhören mag, ist in Wirklichkeit gewonnene Handlungsfreiheit. Sie gibt dir das Gefühl, wieder Kontrolle über dein eigenes Leben zu gewinnen. Du gehst bewusster mit deinen körperlichen und geistigen Ressourcen um. Wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.
Auf einer Bergtour wird alles Überflüssige reduziert und das Bewusstsein für die wesentlichen Dinge des Lebens geschärft. Die Tage werden nicht mehr von allen möglichen Ablenkungen und gewohnten Reizen dominiert. Wenn du in den Bergen unterwegs ist, erlebst du Langsamkeit. Langsamkeit in einer sonst schnellen Welt, in der Stille eine immer knappere Ressource zu werden droht.