Achtsamkeit ist eine Lebensweise, bei der wir häufiger im gegenwärtigen Moment verweilen. Ein Ansatz, der mich fasziniert. Aber wie kam ich eigentlich dazu? Und was hat das Ganze mit Wandern zu tun?
Als ich im Herbst 2017 einen Achtsamkeitskurs in MBSR belegte (MBSR steht für Mindful Based Stress Reduction und heißt übersetzt Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion), tat ich dies nicht, um meinen eigenen Stress besser in den Griff zu bekommen. Ich hatte zu dieser Zeit nicht unbedingt einen stressigen Job, und auch privat lief es im Großen und Ganzen recht gut. Mein Antrieb, diesen Kurs zu besuchen, war ein anderer: Ich spielte mit dem Gedanken, dass Wandern und Achtsamkeit eigentlich wunderbar zusammenpassen. Vorausgesetzt natürlich, man wandert achtsam und lässt sich auf das ein, was man um sich herum gerade wahrnimmt. Wo könnte man Achtsamkeit besser praktizieren als in der freien Natur? Auf einer herrlich duftenden Frühlingswiese beispielsweise, oder still sitzend in einem Wald, den Vögeln und dem Wind in den Wipfeln lauschend. Oder auf einem Berggipfel, denn auf Gipfeln ist es in der Regel ziemlich still – die touristisch erschlossenen einmal ausgenommen.
Ich spann mir also vor dem Besuch des Achtsamkeitskurses zusammen, dass das eigentlich eine ideale Kombination ist. Achtsames Wandern. Wandern und Achtsamkeit. Und ich stellte mir vor, wie es ist, wenn ich meine eigene Begeisterung fürs Wandern und die Natur auch anderen Menschen weitergebe. Durch Übungen zur Achtsamkeit und durch Meditationen. Diese Motivation speiste sich zudem aus der Tatsache, dass ich von meiner Persönlichkeit her zu so genannten „helfenden Berufen“ neige. Also Lehrer, Therapeut, Coach oder Arzt. Mir ist es wichtig, anderen Menschen etwas mitzugeben, ihnen etwas beizubringen, ihnen zu helfen, Impulse zu geben und sie für etwas zu begeistern. Eine Eigenschaft, die mir übrigens auch im Privaten so manche zwischenmenschliche Türe öffnet.
Mein Ziel war ein achtsamer Umgang mit negativen Gedanken und Gefühlen
Aber zurück zur Achtsamkeit. Meditationen sind in der Achtsamkeitspraxis ein zentrales Element. Die Wahrnehmung des eigenen Atems, die Fokussierung auf sein Ein- und Ausströmen lässt einen automatisch ruhig(er) werden. Ich selbst liebäugele ja schon länger damit, eine Ausbildung zum Personal Coach/Psychologischer Berater zu absolvieren, aber die sind bekanntlich, je nach Anbieter, nicht gerade preiswert. Da erschien mir ein Achtsamkeitskurs und die darin vermittelten Inhalte als eine willkommene – und bezahlbare – erste Alternative. Denn auch in der Achtsamkeit geht es um Dinge, die uns alle betreffen, und manchmal mehr oder weniger intensiv bewegen: Gedanken und Gefühle. Kurz gesagt ging es mir auch selbst darum, eine andere Sichtweise auf sowie eine Erkenntnis über den Umgang mit meinen Gedanken und Gefühlen zu bekommen – und möglicherweise zukünftig anders damit umzugehen. Anlässe sind in solchen Fällen oft persönliche Krisen. Lebenskrisen. So war es auch bei mir, denn 2015 hatte ich mich nach langer Zeit von meiner damaligen Lebenspartnerin getrennt. Ich verfolgte mit dem Achtsamkeitskurs also, wenn man so will, einen doppelten Ansatz: Ich erhoffte mir zum einen theoretische und praktische Hinweise zu einem anderen, konstruktiveren Umgang mit meinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Zum anderen wollte ich diese Erkenntnisse nutzen, um sie vielleicht auch einmal selbst anderen Menschen weiterzugeben – in der Kombination Wandern und Achtsamkeit respektive achtsames Wandern.
Im Winter 2018 bot sich mir tatsächlich diese Chance. Nur wusste ich davon zum damaligen Zeitpunkt noch nichts. Erst einmal musste ich ein unliebsames Kündigungsgespräch über mich ergehen lassen. In dieser Sekunde, in der mir mein damaliger Chef die bittere Nachricht überbrachte, versuchte ich so gut es eben ging achtsam zu sein. Sprich: Ich saß auf meinem Stuhl, registrierte die Kündigung und nahm die Tatsache, dass ich gerade meinen Job verloren hatte, zunächst einmal zur Kenntnis. Kenntnisnahme ist ein Aspekt von Achtsamkeit. Sie bedeutet, uns klar zu machen, dass etwas tatsächlich existiert. Dass es also ist, da ist. Die Kündigung war da, meinen Job hatte ich verloren. Kenntnisnahme heißt in diesem Zusammenhang auch, sich einzugestehen, dass gewisse Ereignisse sich wirklich ereignen. In der Tat – ich war gekündigt. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Achtsamkeit ist Akzeptanz. Begreifen, dass Dinge geschehen oder nicht geschehen, ohne gleich aktiv etwas zu tun. Zur Kenntnis nehmen und einfach akzeptieren kann man übrigens auch Gedanken, Gefühle, Empfindungen, Handlungen oder Überzeugungen, was in der Achtsamkeit von besonderer Bedeutung ist, gerade wenn es sich beispielsweise um negative Gefühle, wie etwa Trauer, Wut, Angst, Unsicherheit, Ärger oder Schuld handelt. Aber das ist ein eigenes Thema, das ich hier nicht weiter ausführen will.
Erst unsere Gedanken machen Erlebnisse und Ereignisse zu guten oder schlechten
Zugegeben: Mit der Wertneutralität war es beim Ausspruch der Kündigung eher schwierig. Dinge weder als gut noch als schlecht zu bewerten, sondern diese einfach nur zu beobachten, ist ein weiterer wesentlicher Aspekt von Achtsamkeit. Wir sind es ja gewohnt, permanent zu bewerten, Dinge einzuordnen, was nicht unbedingt immer schlecht sein muss. In „Einordnung“ steckt ja der Begriff „Ordnung“. Irgendwie verschafft uns das stete Einordnen in jedwede Kategorien also auch Sicherheit. Wenn wir uns jedoch darin üben, Situationen, Erlebnisse und Ereignisse objektiv zu betrachten, müssen wir sie losgelöst von unseren Gedanken einfach nur beobachten. Erst unsere Gedanken machen sie zu „guten“ oder „schlechten“ Situationen, Erlebnissen oder Ereignissen. Trotzdem fiel es mir damals eher schwer, die Kündigungssituation rein objektiv zu beobachten. Zu beobachten, was just in diesem Moment der Kündigungsbotschaft in mir vorging, welche Gefühle sich regten und welche Gedanken mir durch den Kopf schossen. Kein Wunder bei solch einem Einschnitt. Aber trotz allem blieb ich einigermaßen ruhig und gelassen. Was hätte ich denn auch tun sollen, als die Situation so anzunehmen, wie sie ist?
Von null auf hundert eine Meditation in der Achtsamkeit leiten
Acht Wochen später jedenfalls saß ich zuhause auf der Couch und tippte den Anleitungstext der sogenannten Berg-Meditation in ein Word-Dokument. Eine von vielen Meditationen in der Achtsamkeit, in der es um den konstruktiven Umgang mit negativen Gefühlen geht. Was war geschehen? Ein paar Wochen zuvor saß ich im Zug auf der Heimfahrt von einem Vorstellungsgespräch in Stuttgart. Ich hatte mich als Redakteur bei einer NGO beworben und pendelte nun von der Schwaben-Metropole zurück nach Karlsruhe. Während der Zugfahrt kamen mir Zweifel, ob ich von einem Redakteursjob sofort in den nächsten schlittern sollte. Ob das überhaupt das Richtige wäre. Und dann diese Pendelei mit dem Zug. Meine Gedanken wurden genährt durch die Aussicht auf einen gänzlich anderen Job – dem Job als Wander-Guide auf Sardinien für einen Sport-Reiseveranstalter. Tags zuvor hatte ich mit der Dame aus der Personalabteilung telefoniert, um Details zu besprechen. Je mehr ich mir meiner Situation bewusst wurde, je öfter ich daran dachte, welche Chance sich mir bot, etwas ganz Anderes zu tun als bislang, und dies noch im Ausland, desto stärker wuchs die Überzeugung, dies in die Tat umzusetzen. Ich bot mir noch zwei Tage Bedenkzeit aus, befragte gute Freunde, wie sie zu meiner Idee standen, dann sagte ich den Job auf Sardinien zu.
Aber was hat das nun mit Achtsamkeit beziehungsweise mit meiner Beschäftigung damit zu tun? Auf Sardinien durfte ich mit den Hotelgästen nicht nur wandern, sondern ich war auch für ein darüber hinausgehendes Rahmenprogramm zuständig. Hier hatte ich einen recht großen Gestaltungsspielraum, und so entschied ich mich, mit den Gästen zu meditieren. Ich wollte eine Meditation anleiten, was ich noch nie zuvor getan hatte. Und ich traute mir das zu. Ich war der Überzeugung, dass mir dieser Job ein gutes Übungsfeld bietet, um mich selbst in der Anleitung einer Meditation zu üben, mich selbst dabei wahrzunehmen. So kam es, und ich merkte, dass mir das Spaß macht. Dass es zu mir passt, was mir auch die Gäste stets bestätigten. Von Meditation zu Meditation reifte in mir der Wunsch, dies mit Wanderungen im Schwarzwald – oder vielleicht irgendwann auch woanders – zu verbinden. Wandern und Achtsamkeit. Achtsames Wandern.
Meine Motivation für mehr Achtsamkeit
Eine Woche nach meiner Rückkehr von Sardinien leitete ich meine erste Achtsamkeitswanderung im nördlichen Schwarzwald. Es war eine schöne, gelungene Premiere. Die Gäste genossen die Natur und die Atem-Meditation auf einer Schwarzwaldwiese. Wir wanderten eine halbe Stunde lang ohne zu sprechen und konzentrierten uns auf das, was wir in der Natur hören, riechen und sehen konnten. So kam ich zur Achtsamkeit. Aus eigenem Antrieb, häufiger im Augenblick zu verweilen, mich seltener kräftezehrend mit der Vergangenheit oder der Zukunft zu beschäftigen und stattdessen in der Gegenwart zu sein. Aus eigenem Interesse, mich zu bemühen, die guten Dinge im Leben, die kleinen Freuden wahrzunehmen und wertzuschätzen. Aus eigenem Antrieb, weniger in Gedanken zu verfallen, aus denen Selbstzweifel und Ängste entstehen. Aus eigenem Interesse, anderen Menschen gegenüber achtsamer zu begegnen. Für mich sind das befreiende Perspektiven. Diese möchte ich auch anderen Menschen zugänglich machen, ihnen in ein paar Stunden auf einer Wanderung die dafür wichtigen Impulse geben. Wieder mehr im Augenblick zu leben statt nur für den Augenblick. Das ist meine Motivation.
Hallo lieber David,
Ich bin durch Zufall auf deine Seite gestoßen. Ich bin derzeit in einer Orientierungsphase in meinem Leben. Ich war sehr unglücklich in meinem Job und möchte mich nun neuorientieren. Deine Geschichte hat mich sehr berührt und ich habe gewisse Parallelen gesehen. Ich liebe Wandern, Natur und ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit Achtsamkeit und Yoga. Ich sammle gerade Ideen, was mir in Zukunft beruflich eine größere Erfüllung schenken würde. Ich kann mir total gut vorstellen, auch in deine Richtung zu gehen. Mein Traum war immer Achtsames Wandern…das wandern mit Sinnen viel intensiver zu gestalten, sich mit der Natur zu verbinden und dieses Erlebnis auch anderen Menschen näher zu bringen.
Kannst du mir Tipps geben, wie du zu Beginn vorgegangen bist? Was brauchst du genau für Ausbildungen? Wie hast du das genau gemacht?
Du würdest mir wahnsinnig helfen, wenn du mir ein paar Anhaltspunkte geben kannst😊. Vielleicht hast du ja auch mal Zeit für ein kurzes 10- minütiges Telefon.